Landgericht Berlin zur Prangerwirkung

Aus dem Urteil des Landgerichts Berlin 27 O 394/11 vom 08.11.2011:

„(…)

Entscheidungsgründe

I. Die Klage ist zulässig. Insbesondere mangelt es weder an der Prozessfähigkeit des Klägers (unten 1.), noch ist der Klageantrag zu a) unbestimmt (unten 2.), noch steht der Klage eine anderweitige Rechtshängigkeit oder Rechtskraft entgegen (unten 3.).

1. Das Vorliegen der Prozessfähigkeit und der weiteren Prozessvoraussetzungen prüft das Gericht in jeder Lage des Verfahrens von Amts wegen, § 56 Abs. 1 ZPO. Dies bedeutet indessen nicht, dass. das Gericht von sich aus die zur Beurteilung der Prozessfähigkeit erforderlichen Tatsachen zu ermitteln und aufzuklären hat. Vielmehr setzt die Pflicht zur Überprüfung der Prozessfähigkeit erst dann ein, wenn hinreichende Anhaltspunkte für ihr Fehlen vorliegen (BGH MJW 2004, 2523, 2524). Solche Anhaltspunkte sind hier nicht vorhanden. Sie sind insbesondere nicht schon darin zu erblicken, dass der Kläger eine Vielzahl von Verfahren gegen den Beklagten angestrengt hat, von denen er nur einen Teil gewonnen hat. Es ist jedermann unbenommen, gerichtliche Verfahren unabhängig von ihren Erfolgsaussichten anhängig zu machen. So steht es auch dem Kläger frei, seines Erachtens unzulässige Äußerungen des Beklagten anzugreifen, zumal sich aus dem Verlauf der bisher zwischen dem Kläger und dem Beklagten geführten Rechtsstreitigkeiten nichts für die Erfolgsaussichten des hiesigen Verfahrens ableiten lässt.

2. Der Klageantrag zu a) ist auch nicht unbestimmt. Aus ihm ergibt sich ohne Weiteres, dass der Kläger das Verbot der beanstandeten Äußerungen und Abbildungen in ihrer Gesamtheit in der Form begehrt, wie sie die in die Klageanträge eingefügten Ausdrucke der Internetseite des Beklagten wiedergeben. Wenn es insoweit noch einer Klarstellung bedürfte, so findet sich diese in der Klagebegründung und in der Replik des Klägers vom 13.10.2011, die zur Auslegung der Anträge mit heranzuziehen sind. Der Klagebegründung lässt sich auf S. 21 entnehmen, dass der Kläger „hinsichtlich beider Darstellungen“ einen Unterlassungsanspruch wegen einer Verletzung seines allgemeinen Persönlichkeitsrechts für gegeben hält. Damit können nach Lage der Dinge nur die beiden Unterseiten in der Form, wie sie in den Klageanträgen zu a} und b) abgebildet werden, in ihrer Gesamtheit gemeint sein. Dies hat der Kläger in seiner Replik vom 13.10.2011 noch einmal
bekräftigt.

3. Der Klage stehen auch keine rechtskräftigen Entscheidungen oder die anderweitige Rechtshängigkeit hinsichtlich einzelner der beanstandeten Abbildungen und Äußerungen entgegen. Selbst wenn eine derartige anderweitige Rechtskraft oder Rechtshängigkeit bestehen sollte, wozu nicht im Einzelnen vorgetragen ist, liegt hier ein anderer Streitgegenstand vor. Denn Gegenstand der Klage ist, wie erörtert, die Zulässigkeit der Veröffentlichung der beiden beanstandeten Unterseiten jeweils im Ganzen. Diese kann rechtlich anders zu beurteilen sein als die Zulässigkeit der einzelnen Bestandteile der Unterseiten,

Ob dem Beklagten in einem von dem Kläger angestrengten Verfahren auch Äußerungen über Rechtsanwalt H verboten werden können, ist eine Frage der Begründetheit der Klage.

II. An dieser fehlt es allerdings insgesamt. Dem Kläger stehen die geltend gemachten Unterlassungsansprüche gegen den Beklagten aus einer Verletzung seines allgemeinen Persönlichkeitsrechts, §§ 823, 1004 Abs. 1 Satz 2 analog BGB i. V. m. Art. 2 Abs. 1, 1 Abs. 1 GG, weder hinsichtlich der Unterseite „102 schöne Entscheidungen“ (unten 1.) noch hinsichtlich der „Presseerklärung“ (unten 2.) zu.

1. Dass die Unterseite „102 schöne Entscheidungen“ unwahre Tatsachenbehauptungen enthielte, macht der Kläger nicht geltend. Er leitet eine unwahre Tatsachenbehauptung auch nicht aus dem Umstand her, dass der Beklagte allein ihm günstige Urteile mitteilt, ohne zugleich auf Rechtsstreitigkeiten hinzuweisen, die er gegen den Kläger verloren hat. Für eine solche Bewertung als unwahre Tatsachenbehauptung fehlte es auch an hinreichendem Vortrag, welche und wie viele Prozesse der Beklagte gegen den Kläger verloren hat und warum das Verschweigen dieser Prozesse der – unbestritten für sich genommen richtigen – Behauptung, dass er die mitgeteilten Entscheidungen jedenfalls gewonnen hat, ein anderes Gewicht geben soll.

Der Kläger leitet vielmehr aus dem Umstand, dass der Beklagte die gegen den Kläger verlorenen Prozesse nicht mitteilt, ferner daraus, dass der Beklagte die den Rechtsstreitigkeiten zugrunde liegenden Gegenstände nicht erörtert und schließlich Karikaturen veröffentlicht, in denen der Kläger sich wieder erkennt, eine Prangerwirkung der Unterseite ab. Eine solche Prangerwirkung ist hier allerdings nicht anzunehmen.

Da es der Sinn jeder zur Meinungsbildung beitragenden öffentlichen Äußerung ist, Aufmerksamkeit zu erregen, sind angesichts der heutigen Reizüberflutung einprägsame, auch starke Formulierungen hinzunehmen. Das gilt auch für Äußerungen, die in scharfer und abwertender Kritik bestehen, mit übersteigerter Polemik vorgetragen werden oder in ironischer Weise formuliert sind. Der Kritiker darf seine Meinung grundsätzlich auch dann äußern, wenn sie andere für „falsch“ oder für „ungerecht“ halten. Auch die Form der Meinungsäußerung unterliegt der durch Art. 5 Abs. 1 GG geschützten Selbstbestimmung des Äußernden. Für die Beurteilung der Reichweite des Grundrechtsschutzes aus Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG kommt es ferner maßgeblich darauf an, ob und in weichem Ausmaß der von den Äußerungen Betroffene seinerseits an dem von Art. 5 Abs. 1 GG geschützten Prozess öffentlicher Meinungsbildung teilgenommen, sich damit aus eigenem Entschluss den Bedingungen des Meinungskampfs unterworfen und sich durch dieses Verhalten eines Teils seiner schützenswerten Privatsphäre begeben hat. Erst wenn bei einer Äußerung nicht mehr die Auseinandersetzung in der Sache, sondern die Herabsetzung der Person im Vordergrund steht, die jenseits polemischer und überspitzter Kritik herabgesetzt und gleichsam an den Pranger gestellt werden soll, hat die Äußerung – auch wenn sie eine die Öffentlichkeit wesentlich berührende Frage betrifft – regelmäßig hinter dem Persönlichkeitsrecht des Betroffenen zurückzutreten (BGH NJW 2007, 888, Tz. 18 m. w. Nachw.).

Eine solche Prangerwirkung wird von der Rechtsprechung dann erwogen, wenn ein – nach Auffassung des Äußernden – beanstandungswürdiges Verhalten aus der Sozialsphäre einer breiteren Öffentlichkeit bekannt gemacht wird und sich dies schwerwiegend auf Ansehen und Persönlichkeitsentfaltung des Betroffenen auswirkt, vor allem dann, wenn eine Einzelperson aus der Vielzahl derjenigen, die das vom Äußernden kritisierte Verhalten gezeigt haben, herausgehoben wird, um die Kritik des als negativ bewerteten Geschehens durch Personalisierung zu verdeutlichen. Dabei kann die Anprangerung dazu führen, dass die regelmäßig zulässige Äußerung einer wahren Tatsache aus der Sozialsphäre im Einzelfall mit Rücksicht auf die überwiegenden Persönlichkeitsbelange des Betroffenen zu untersagen ist. Diese Rechtsprechung ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden (BVerfG NJW 2010, 1587, Tz. 25 m. w, Nachw. – Unterlassungsanspruch). Die Annahme einer Anprangerung setzt allerdings voraus, dass das berichtete Verhalten des Klägers ein schwerwiegendes Unwerturteil des Durchschnittspublikums oder wesentlicher Teile desselben nach sich ziehen könnte (BVerfG.a. a. O., Tz. 28).

Danach liegt hier eine Prangerwirkung nicht vor.

Die Unterseite „102 schöne Entscheidungen“ ist schon deshalb nicht geeignet, ein schwerwiegendes Unwerturteil des Durchschnittspublikums über den Kläger nach sich zu ziehen, weil nicht zu erwarten ist, dass ein breiteres Publikum überhaupt von dieser Seite Kenntnis nimmt. Die hier gegebenen Informationen sind nämlich für einen nicht mit dem Hintergrund der Auseinandersetzungen zwischen dem Kläger und dem Beklagten vertrauten Leser kaum verständlich. Es ist auch zweifelhaft, ob ein unbefangener Leser die Seite nach ihrem Erscheinungsbild und dem dargebotenen Inhalt überhaupt ernst nehmen wird. Dies gilt zumal für die Karikaturen, die weder von besonderer künstlerischer Eigenart noch über die Maßen geistreich sind.

Aber auch hiervon abgesehen geht von der beanstandeten Unterseite eine Prangerwirkung nicht aus.

Hinsichtlich der von dem Beklagten unter den Nummern 5 bis 18, 21 bis 25, 28 bis 31, 34, 35, 38 bis 45, 84, 86 und 94 aufgeführten Verfahren ist schon nicht erkennbar, inwieweit der Kläger hierdurch beeinträchtigt sein könnte. Es ist nämlich für den unbefangenen Leser nicht erkennbar, ob der Kläger oder seine Kanzlei an diesen Verfahren überhaupt beteiligt waren. Zum Teil erwähnt der Beklagte andere Rechtsanwälte, überwiegend aber nennt er überhaupt keine Namen, sondern verwendet allgemeine Bezeichnungen wie „ein Creme de la Creme Anwalt“, „eine Anwaltskanzlei“ oder „ein Anwalt“ oder teilt gar nur die gerichtlichen Aktenzeichen mit. Ob in diesen Fällen der Kläger involviert war, kann – außer ggf. einem kleinen eingeweihten Kreis – nur dieser selbst wissen.

Aber auch bei den anderen Verfahren, die der Beklagte unter ausdrücklicher Namensnennung des Klägers aufführt, geht es dem Beklagten nicht in erster Linie um die Herabsetzung des Klägers. Die deutliche Wortwahl und der teilweise polemische Ton seiner Äußerungen fallen unter den Schutz des Art. 5 Abs. 1 GG. Der Beklagte kritisiert das berufliche Verhalten des Klägers und tritt damit in den Meinungskampf ein, den der Kläger hier durch die Vielzahl der gegen den Beklagten eingeleiteten Verfahren eröffnet hat. Dabei hält der Beklagte sich im Rahmen sachlicher Auseinandersetzung. Der Kläger wird nicht ausschließlich als Person und ohne Bezug zur Sache angegriffen. Vielmehr nennt der Beklagte eine Vielzahl von Gerichtsverfahren, die der Kläger gegen ihn verloren hat, und teilt auch Näheres zum Inhalt dieser Verfahren mit.

Dass auf der Unterseite „102 schöne Entscheidungen“‚ in erster Linie der Kläger als Gegner des Beklagten in Erscheinung tritt, hat seinen Hintergrund, was unbestritten geblieben ist, schlicht in dem Umstand, dass der Kläger in besonderem Umfang gerichtliche Verfahren gegen den Beklagten angestrengt hat und mit diesen vielfach unterlegen ist. Demnach ist as auch offensichtlich nicht so, dass der Beklagte aus einer Vielzahl von Personen, die sich seiner Meinung nach kritikwürdig verhalten, gerade den Kläger herausgegriffen und nachgerade an den Pranger gestellt hätte.

(…)

2. Auch hinsichtlich der „Presseerklärung“ rügt der Kläger keine unwahren Tatsachenbehauptungen, sondern eine Prangerwirkung, die von dieser Unterseite ausgehe. Eine solche Prangerwirkung ist aber auch hier nicht zu erkennen.

Der Beklagte teilt lediglich in sachlicher Form mit, dass in kurzer Zeit eine größere Anzahl dem Kläger nachteiliger Entscheidungen ergangen sind. Das Verfahren vor dem Landgericht Berlin zu dem Aktenzeichen 27 O 540/09 erörtert der Beklagte näher und unterlässt es auch nicht mitzuteilen, dass der Kläger mit einem Teil der Klageanträge durchgedrungen ist. Die Kammer vermag nicht zu erkennen, auf weiche Weise diese – wahren – Mitteilungen ein schwerwiegendes Unwerturteil des Durchschnittspublikums oder wesentlicher Teile desselben nach sich ziehen könnten.

Der Beklagte bezweckt mit der „Presseerklärung“ auch offensichtlich nicht die Herabsetzung der Person des Klägers. Er bedient sich nicht einmal besonders scharfer Formulierungen, sondern schildert in sachlicher Form den Ausgang verschiedener Rechtsstreitigkeiten, die der Kläger gegen den Beklagten angestrengt hat. Soweit der Beklagte mit Formulierungen wie „Zensoren“, „fragwürdige und umstrittene Gestalten“ und „Die Geheimzensur und deren Vertreter erlitten eine Schlappe“ Meinungen kundtut, verlassen diese nicht den Boden sachlicher Auseinandersetzung und sind daher nicht als Schmähkritik zu werten. (…)“