Unangemesse Dauer eines Bußgeldverfahrens

lhr Schadensersatzbegehren wegen überlanger Verfahrensdauer

Der Präsident des Oberlandesgerichts hat Ihr vorgenanntes Schadenersatzbegehren zuständigkeitshalber an mich weitergeleitet. lch habe mich daraufhin umfassend mit der Sach- und Rechtslage unter Heranziehung der maßgeblichen Verfahrensakte auseinandergesetzt. Einen gegen das Land Nordrhein-Westfalen gerichteten Entschädigungsanspruch nach §§ 198, 199 GVG vermag ich danach nicht anzuerkennen. Das Bußgeldverfahren hat nicht unangemessen lange im Sinne des § 198 Abs. 1 S. 1 GVG gedauert.

Dabei sei zunächst vorweggeschickt, dass nicht jede Überschreitung der durchschnittlichen oder gar optimalen Verfahrensdauer schon eine Anspruchsgrundlage für eine Entschädigung bietet. Es liegt in der Natur der Sache, dass es in einem Rahmen vertretbarer Verfahrensgestaltungen neben ideal und durchschnittlich gestalteten Verfahren eben auch unterdurchschnittlich geförderte aber deshalb noch längst nicht menschenrechts- oder grundrechtswidrige Verfahren gibt. Ausgehend von dem Ziel des Gesetzgebers, eine den Anforderungen der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) und des Grundgesetzes widersprechenden Rechtsschutzlücke zu schließen, ist der Begriff der „unangemessenen Dauer“ restriktiv auszulegen.

Die Regelung der §§ 198 ff. GVG hat folgerichtig nur für die nach der EMRK als menschenrechtswidrig und nach den Maßstäben des Art. 19 Abs. 4, Art. 20 Abs. 3 GG als grundgesetzwidrig zu beanstandenden „Ausreißer“ unter der Vielzahl von Verfahren zu gelten. Unter Berücksichtigung der zuvor dargelegten Maßstäbe richtet sich die Frage, ob die Dauer eines Verfahrens unangemessen im Sinne von § 198 Abs. 1 S. 1 GVG ist, nach den Umständen des Einzelfalls, insbesondere nach der Schwierigkeit und Bedeutung des Verfahrens und nach dem Verhalten der Verfahrensbeteiligten und Dritten, § 198 Abs. 1 S. 2 GVG. Dabei ist zu berücksichtigen, dass für eine Meinungsbildung des angerufenen Gerichts erforderliche Zeiten nicht als entschädigungsrelevante Verzögerung zu berücksichtigen sind. Gleichermaßen besteht auch kein Anspruch darauf, dass ein Verfahren sofort bzw. unverzüglich vom Gericht entschieden wird. Die Verfahrensdauer ist nur dann als unangemessen anzusehen, wenn eine Abwägung aller Umstände ergibt, dass die aus den §§ 198 ff. GVG folgende Verpflichtung des Staates, Gerichtsverfahren in angemessener Zeit zu einem Abschluss zu bringen, erheblich verletzt ist. Bezugspunkt für die Beurteilung der Angemessenheit ist dabei als maßgeblicher Zeitraum die Gesamtverfahrensdauer.

Nach diesen Maßstäben ist nicht von einer Unangemessenheit der Länge des Bußgeldverfahrens auszugehen.

Die Gesamtverfahrensdauer von rund 11 Monaten ist bereits für sich betrachtet nicht als unangemessen lang einzustufen. Dass ein Bußgeldverfahren, in dem sowohl die Staatsanwaltschaft als auch die Bußgeldbehörde beteiligt worden sind, einen derartigen Zeitraum in Anspruch nimmt, ist nicht derart ungewöhnlich, dass es als menschenrechtswidrig oder grundgesetzwidrig einzustufen wäre.

Ungeachtet dessen ist zu berücksichtigen, dass das gegenständliche Bußgeldverfahren einen überdurchschnittlichen Schwierigkeitsgrad aufwies. Die jeweils zuständigen Richter mussten sich zur Beurteilung des Ordnungswidrigkeitenvorwurfs mit den Einzelheiten der Vorschriften über den Inhalt eines Jahresabschlusses auseinandersetzen. Dies gehört nicht zu den üblicherweise in den Bußgeldabteilungen zu bearbeitenden Rechtsmaterien, so dass eine eingehendere Einarbeitung von Nöten war.

Ein nicht unerheblicher Teil der Verfahrensdauer ist auch darauf zurückzuführen, dass das Gericht versucht hat, noch vor der Durchführung des Hauptverhandlungstemins eine Einstellung des Verfahrens zu erwirken. So hat es mit Verfügung vom 27.07.2015 auf eine Einstellung des Verfahrens hingewirkt und diese sodann mit Verfügung vom 11.08.2015 angeregt. Eine derartige Verfahrensführung ist unter Berücksichtigung des dem Gericht zukommenden Gestaltungspielraums sachlich gerechtfertigt und damit nicht zu beanstanden.

Überdies ist die Dauer des Verfahrens dadurch beeinflusst worden, dass die Ordnungsgeldbehörde zu der beabsichtigten Einstellung des Verfahrens angehört werden musste, was einige Zeit in Anspruch nahm. Das Verhalten Dritter kann dem Gericht indes nicht zugerechnet werden und hat bei der Beurteilung der Frage der Unangemessenheit der Verfahrensdauer außen vor zu bleiben.

Zudem ist nicht ersichtlich, dass Ihnen durch die Verfahrensdauer eine besondere Belastungssituation von einem gewissen Schweregrad entstanden wäre. Dies ist indes – wie oben bereits ausgeführt – erforderlich. Durch die Anknüpfung des gesetzlichen Entschädigungsanspruchs nach § 198 GVG an die Verletzung konventions- und verfassungsrechtlicher Normen (Art. 6 Abs. 1 EMRK, Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG und Art. 19 Abs. 4 GG) muss die durch die Verfahrensdauer verursachte Belastung ein erhebliches Ausmaß erreichen, was hier nicht erkennbar ist.

Nach alledem ist die Gesamtdauer des Verfahrens als angemessen zu betrachten und eine Entschädigung nicht angezeigt.

https://dejure.org/gesetze/GVG/198.html

http://www.burhoff.de/insert/?/veroeff/aufsatz/StRR_2012_4.htm